Warum Recherche unverzichtbar ist.
„Recherchen können mehr Zeit in Anspruch nehmen
als jede andere Phase des Drehbuchschreibens.“
Linda Seger
Die Grundlage jeder glaubwürdigen Geschichte liegt in der Recherche. Menschen, die Geschichten schreiben, beobachten, analysieren und reflektieren unentwegt. Doch die eigene Perspektive allein reicht oft nicht aus, um vielschichtige Figuren und komplexe Erzählungen zu erschaffen. Recherche öffnet die Tür zu fremden Lebenswirklichkeiten und ermöglicht nicht nur das Sammeln von Wissen, sondern auch ein tiefes, emotionales Verständnis.
Ich recherchiere, um zu verstehen, was Menschen antreibt – besonders, wenn sie radikale Entscheidungen treffen oder ihre vertraute Welt hinter sich lassen. In meinem Mehrteiler Brüder beispielsweise erzählt die Figur Jan Welke die Geschichte eines jungen Mannes, der sich radikalisiert. Ich selbst habe diesen Weg nie beschritten, doch durch intensive Recherche konnte ich die innere Zerrissenheit und die Suche nach Identität und Zugehörigkeit authentisch nachfühlen und darstellen.
Recherche als kreativer Schöpfungsprozess
Recherche ist kein notwendiges Übel, sondern ein unverzichtbarer Teil des kreativen Prozesses. Sie ist wie Dünger für die Geschichte und bereitet den Boden, auf dem fiktionale Welten wachsen. Dabei geht es nicht nur um das Sammeln von Fakten, Daten oder Vorgaben, sondern um das Filtern und Verdichten. Es ist die Kunst, aus einem oft überwältigenden Berg von Informationen jene Essenz herauszuarbeiten, die den Kern der Geschichte trägt.
Recherche ermöglicht es mir, Analogien zu erkennen und Brücken zu bauen. Ich muss nicht dieselbe Erfahrung wie meine Figuren gemacht haben, um mit ihnen mitfühlen zu können. Es genügt, die Stelle in mir anzuzapfen, an der ich etwas Entsprechendes finde.
Schauplätze als Spiegel der Figuren
Recherche bedeutet nicht nur, Lebensgeschichten nachzuvollziehen, sondern auch, die Städte, Landschaften und Orte zu erkunden, an denen die Geschichte spielt. Schauplätze sind nicht bloße Kulissen, sondern Ausdruck des Innenlebens meiner Figuren.
In meiner Serie Two Sides of the Abyss habe ich Wuppertal bewusst als Handlungsort gewählt. Mit seinem morbiden Charme und seinen besonderen Schauplätzen wurde die Stadt zu einer weiteren Hauptfigur der Serie. Ein zufällig entdeckter Werkstoffhof, auf dem Elektroschrott zerlegt wird, wurde zum Arbeitsplatz meines Antagonisten Dennis Opitz. Die rauen Arbeitsbedingungen und die Menschen, die ich dort kennenlernen durfte, halfen mir, den Charakter und seine Welt glaubwürdig zu gestalten – eine Welt, die sich ohne diese intensive Recherche niemals so lebendig angefühlt hätte.
Authentizität und der Übergang zur Fiktion
Gründliche Recherche ist keine Einschränkung, sondern eine Befreiung. Sie hilft mir, mich sicher in einer fremden Welt zu bewegen und verleiht meinen Geschichten Authentizität. Der Moment, in dem ich den Berg der Recherche hinter mir lasse und die Welt der Fiktion betrete, fühlt sich wie ein Aufbruch an: Alles, was ich gelernt und verinnerlicht habe, wird zum Fundament für die Fantasie.
So entstehen Geschichten, die eine Wunde heilen können – oder eine Wunde schaffen, die eine Geschichte heilt.
Im Folgenden zwei Recherchedossiers als Beispiele.